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Katalog "The Gates of the Sun and the Land of Dreams"

Aljoscha im Interview mit Antonia Lehmann-Tolkmitt (März 2017)


Lieber Aljoscha, nach unserer letzten gemeinsamen Ausstellung in der Galerie1 zeigst Du jetzt eine große Rauminstallation sowie aktuelle Objekte, Malerei und Zeichnungen. Die wichtigste Inspirationsquelle für Dein gesamtes Œuvre ist die Bio- und Gentechnologie. Kannst Du bitte umreißen, inwiefern Deine Arbeiten zwischen Kunst und Wissenschaft stehen?


Ich bin seit meiner Kindheit am Futurismus und an den neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen interessiert und verfolge natürlich alle neuen Entwicklungen in diesem Bereich, besonders in der synthetischen Biologie. In den letzten zwei Jahren hat die Idee des bioethischen Abolitionismus2 vornehmlich mein Interesse geweckt. So gesehen habe ich eine gewisse Entwicklung von der Biologie zur Bioethik vollzogen.


Das heißt, Du sieht Dich selbst genauso als Forscher wie auch als Künstler?


Ja, ich bin ein Künstler, und für mich bildet die Kunst die höchste Form der Wissenschaft. Die Kunst ist nicht nur hochintuitiv und hochindividuell, sondern ermöglicht und führt zu interdisziplinären Erkenntnissen, stellt vor allem alles in Frage und generiert Utopien und Visionen. Streng genommen bin ich natürlich kein Forscher, habe aber trotzdem neue ästhetische Forschungsergebnisse geschaffen, weil ich mich primär mit der Erschaffung von absolut neuen und unbekannten Formen beschäftige. Mich – wie jeden Wissenschaftler - treibt eine große einfache Frage an: „Was wäre wenn...?“ – eine fast kindliche Neugierde. Natürlich besitzen alle meine Werke gewisse ästhetische Merkmale als Ausdruck meiner Persönlichkeit, aber wohin die Reise beim Entstehungsprozess am Ende tatsächlich führen wird, weiß ich selbst noch nicht. Genau das macht diese ästhetisch-wissenschaftliche Arbeit auch so spannend.


Deine als „Bioism“ bezeichnete Theorie von einer neuen Ästhetik, in der Kunst eine durch Vitalität und organisches Wachstum geprägte Form annimmt, in Zukunft idealerweise sogar aus lebendiger Materie entsteht, ist größtenteils noch Utopie. Allerdings gibt es mit der Bio-Art seit Jahren ein Umfeld, in dem über eine Neukonzeption künstlerischer Methoden und Bildsprachen im Angesicht technologischen Fortschritts diskutiert wird. Könnte man Dich und Deine Kunst in diesem Umfeld verorten?


Natürlich. Im Rahmen einiger Installationen habe ich bereits mit lebendigen Organismen gearbeitet. Allerdings erlauben technische und finanzielle Möglichkeiten heutzutage nicht wirklich eine vollkommene Komposition von zwecklosen Lebewesen. Neuartige Organismen werden tatsächlich bereits entwickelt, dies geschieht aber primär in Bereichen, wo sich die kostspieligen Großinvestitionen rentieren könnten: in der Energiegewinnung und Gesundheitsindustrie. Künstlerisch steckt die Bio-Art heute leider noch in einer Interpretationsphase – alles dreht sich um Verwertung und nur minimale Veränderungen von bereits Existierendem. Für mich als Künstler ist es extrem wichtig, jeden Tag die neue Ästhetik zu praktizieren und tatsächlich Bioism-Artefakte zu schaffen, deshalb geschieht dies primär auf einer rein visuellen, utopischen Ebene.


Seit dem Jahr 2009 kommt zu den Objekten und Bildern eine Reihe von sogenannten „Interventionen“ hinzu (genannt „G-signs“), die Du zunächst in 20 deutschen, teils sehr renommierten Museen, darunter z.B. dem Museum Ludwig, dann auch in internationalen Museen wie der Tate Britain, durchgeführt hast. Du baust dabei – ohne vorherige Absprache oder Erlaubnis – Miniaturobjekte von Dir in den dort gezeigten Ausstellungskontext. Was war Deine Absicht hinter dem kreativen Ansturm auf die „heiligen Hallen“, und wie sieht Dein „Museum der Zukunft“ aus?


Da ich alle meine Objekte und Werke als Lebewesen betrachte, stellen für mich Ausstellungsräume auch Biotope oder Laboratorien dar. Dadurch ist es ganz logisch, dass solche Institutionen ab und zu für unerwartete Ausschläge neuer Kreaturen genutzt werden. Dies geschieht natürlich ohne Genehmigung oder Erlaubnis, genauso wie in der Natur. Ich betrachte dies als einen Überfall biologischer Kräfte. Als Vitalität. Das „Museum der Zukunft“ wird aus meiner Sicht mehr und mehr zu einem Zoopark oder paradiesischem Garten mit unbekannten Lebensformen animalischer und vegetativer Art mutieren.


Ich habe den Eindruck, dass sich Deine Arbeit in den letzten Jahren mehr in Richtung Intervention bzw. gesellschaftspolitischem Statement entwickelt hat. In Deiner Aktion in der ukrainischen Heimat von Herbst 2015 hast Du im ganzen Land umgestürzte und zerstörte Lenin-Denkmäler aufgespürt und – ähnlich wie bei den Museumsaktionen – kleine Skulpturen aus Acrylfarbe positioniert und so aus den demolierten Denkmälern künstlerische Installationen gemacht. Sind dies politische Aktionen bzw. möchtest Du auf Herde sozialer Missstände aufmerksam machen?


Der Eindruck, dass meine Arbeit in Richtung Intervention driftet, stimmt nicht so ganz. Ich interveniere immer noch, aber nicht so viel wie früher. Es sind jetzt vielleicht zwei bis vier Aktionen im Jahr, anstatt 12 wie z.B. 2010. Meine Kunstrichtung bezieht sich in erster Linie auf Futurismus und die globale Menschheitsentwicklung mit der gegenseitigen Auswirkung auf unsere und künstliche Lebensarten. Grundsätzlich betrachte ich die Menschheit nicht als Krönung der Schöpfung, weshalb kurzfristige politische Geschehnisse für mich nicht von besonderem Interesse sind. Trotzdem kann auch Niemand vollkommen isoliert von der Gesellschaft sein – deshalb zieht mich aktuelles Zeitgeschehen in seinen Bann. Allerdings werden meine Geschöpfe und ich nicht auf konkreten Seiten bestimmter Konflikte stehen, sondern lieber von oben, z.B. liegend über die Barrikaden oder sitzend im dunklen Inneren verstaubter demolierter Lenins, über Ikonoklasmus und die Zukunft menschlicher Spezies meditieren.


Mit Deinen großen Rauminstallationen in sakralen Räumen hast Du ebenfalls besondere Aufmerksamkeit erzielt in den vergangenen Jahren etwa in St. Petri in Dortmund (2015), in der Schlosskirche in Bonn (2016) oder jüngst in der Sala Santa Rita in Rom (2017). Die Installationen haben einen erhabenen Charakter; die Kontextuierung Deiner so zeitgenössischen Auseinandersetzung mit Fragen der Lebenswissenschaften in diesen teilweise mittelalterlichen Kirchen ist ein spannender Kontrast. Was ist Deine Intention?


Sakrale Räume sind an sich sehr reizvoll, da sie sehr groß sind und oft fantastische Möglichkeiten für monumentale Werke bieten. Daher es ist ideal für mich, die Mikro- und Makrokompositionen dort gleichzeitig zu realisieren. Ein weiterer grundlegender Aspekt ist, dass die Kirchen vom Ursprung her Räume für Religion, Philosophie, Kunst und oft übermenschliche Gefühle sind. Es treffen sich dort die Erkenntnisse über den Sinn „des Ganzen“ und teleologische Überlegungen: Gedanken über Ursprung, das Leben, Freiheit und Notwendigkeit, Autonomie und Abhängigkeit, Ich und die Welt, Beziehung und Vereinzelung, Schöpfertum und Sterblichkeit. Außerdem steht die Kirche oft recht offen im Dialog mit Zukunftsgedanken und Visionen. Daher ist die Erschaffung eines fremdartigen Großkörpers, welcher nicht aus dieser Welt zu sein scheint und alle möglichen Reflexionen über alte und neue Menschheitsfragen aufwirft, immer eine große Freude für mich.


Der Titel Deiner Ausstellung, die Du bei Beck & Eggeling und parallel auch in den Räumen von Schloss Benrath zeigst, lautet „The Gates of the Sun and The Land of Dreams“. Was fasziniert Dich an Homers Odyssee so?


Dieser Titel wird eigentlich weiter unterteilt: „The Gates of the Sun“ soll die Installation bei Beck & Eggeling begleiten und „The Land of Dreams“ ist für die erweiterte Schau im Corps de Logis von Schloss Benrath bestimmt. Natürlich hat dies außer rein formalen und offensichtlichen Bezogenheiten auch einen weiteren Sinn. Der ganze Satz aus Homer‘s Odyssee lautet: „When they had passed the waters of Oceanus and the rock Leucas, they came to the gates of the sun and the land of dreams, whereon they reached the meadow of asphodel where dwell the souls and shadows of them that can labour no more.“3 Hier sah ich eine wunderbare Verknüpfung zu der schon oben erwähnten Theorie des bioethischen Abolitionismus: dem ewigen hedonistischen Wunsch nach Leidlosigkeit und Glückseligkeit, nach einem Grundrecht auf Freude, auf „paradise engineering“!


Ein schönes Schlusswort. Ute Eggeling, Michael Beck und ich danken Dir für die immer inspirierende Zusammenarbeit.


1 Sensorial Panoptikum, Beck & Eggeling International Fine Art, Düsseldorf, 2012.

2 Bioethischer Abolitionismus: „ist ein bioethischer Ansatz, der mit Hilfe von Biotechnologie (bzw. Synthetischer Biologie, Biochemie, Nanotechnologie u.a.) das Leiden der Menschen, das uns evolutionsbedingt allen innewohnt, zu eliminieren versucht. Somit fungiert die erweiterte Biologie, in der die Schaffung neuer Lebensformen inkludiert ist, als Hoffnungsträger für uns alle. Das ist eine der Kernbotschaften meiner Arbeit“ (Aljoscha, 2017).

3 Homer, 2008.

Antonia Lehmann-Tolkmitt